That's not the helmet you're looking for.

Die recycelte Seite der Macht

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Achtung: Spoiler folgen, die die Handlung bis zur Mitte des Films betreffen.

Ein junger Mensch wächst auf einem Wüstenplaneten auf, ohne seine Familie zu kennen. Ein Bösewicht ist die Marionette seines noch fieseren Meisters. Ein niedlicher Droide beherbergt eine Datei, die das Schicksal der Galaxie entscheiden könnte.

Hört sich an wie „Star Wars: Episode IV“? Oder eher „Episode VII“? Oder beides? Bingo. Die Handlung des siebten „Star Wars“-Film ist parallel zum ersten „Krieg der Sterne“ von 1977 angelegt. Teil sieben verlässt sich damit auf ein Erfolgsrezept, das heute so gut funktioniert wie vor 38 Jahren – auch wenn mancher Kinogänger murren dürfte, dass die Macher damit auf eine „billige Variante“ gesetzt haben. Wie der Beginn der Ursprungs-Trilogie bedeutet auch der Start der neuen Story, dass ein Heldenzyklus seinen Lauf nimmt. Die jungen Wilden in „Episode VII“ – Rey und Finn – müssen ihren Weg noch finden und sich damit anfreunden, Verantwortung zu tragen. Schon jetzt ist abzusehen, dass sie im nächsten Teil einen herben Rückschlag erleben, bevor dann im Finale das Gute obsiegen wird. Ein simples Erzählmuster, das Menschen seit Jahrzehnten begeistert.

Kylo Ren ist nicht so furchteinflößend wie Darth Vader – und zum Glück auch nicht so eindimensional.

Allerdings setzen die Drehbuchautoren Lawrence Kasdan, J. J. Abrams und Michael Arndt auch neue Akzente. Den früheren Teilen wurde zurecht die weitgehende Abwesenheit von Frauen vorgeworfen. Sowohl in der ursprünglichen Trilogie von 1977 bis 1983 als auch in den neuen Teilen von 1999 bis 2005 war jeweils nur eine Frau unter den Hauptcharakteren. Das ist insofern ein Problem, weil die Filme dadurch suggerierten, dass es starke Frauen nur als Ausnahme in einem männerdominierten Universum geben könnte. Einige der ersten sechs Teile fielen peinlicherweise sogar durch den Bechdel-Test. Mit dem neuen Teil ändert sich das. Der neue Hauptcharakter ist Rey, eine geborene Anführerin. Konterkariert wird ihr selbstloses und zugleich überlegtes Verhalten durch den zweitwichtigsten Helden Finn, der in der ersten Filmhälfte eher egozentrisch und zuweilen feige handelt. Abseits von Rey, die alle Sympathie auf sich zieht, arbeiten nun auch Frauen bei den Sturmtruppen und auf der Brücke von Kriegsschiffen.

What you lookin' at?

Eine weitere positive Überraschung in „The Force Awakens“ ist der neue Bösewicht, der zwar nicht als „neuer Darth Vader“ gelten kann – doch gerade das ist gut. Denn Kylo Ren ist sicherlich nicht so furchteinflößend wie der Bösewicht der Filmgeschichte. Jedoch ist er auch nicht so eindimensional wie sein Vorbild. Als Kylo Ren seine Maske abnimmt und der Zuschauer sein jungenhaftes Antlitz erblickt, verraten Rens Zuckungen und wuterfüllte Augen, wie innerlich zerrissen der dunkle Lord eigentlich ist. Diese Vielschichtigkeit hat er Darth Vader voraus. Einer der spannendsten Momente des Films ist das Aufeinandertreffen der neuen Helden mit den Charakteren der alten „Star Wars“-Teile. Als Han Solo und Chewbacca das erste Mal Rey und Finn begegnen, zeigt sich schnell, dass alte und neue Charaktere gut harmonieren. „Episode VII“ spart dabei nicht an albernen Verweisen auf die Ursprungstrilogie. Das ist in Ordnung, denn der „Star Wars“-Humor war stets etwas schrullig. So grummelt der bärenhafte Chewbacca auch im neuen Film zur Freude der Zuschauer. Und der niedliche Droide BB-8 piepst sich schnell in die Herzen des Publikums.

Die überreizten Spezialeffekte wecken unangenehme Erinnerungen an die Episoden I bis III.

Dank der Spezialeffekte haben die Waffen in „The Force Awakens“ eine Durchschlagskraft, wie sie in den „Star Wars“-Filmen bisher ungekannt war. Han Solos Blaster wirkt wie die Laserversion eines 44er Magnum-Revolvers, Chewbaccas Armbrust mutet wie ein strahlengestützter Granatwerfer an. Der neue Film ist damit den Sehgewohnheiten einer Generation angepasst, die mit Egoshootern aufgewachsen ist. Leider begeht J. J. Abrams zuweilen den Fehler, die Möglichkeiten der Computereffekte zu überreizen: Eine Szene, in der Tentakelmonster angreifen, dient eher den Muskelspielen des Trickstudios, als dass sie für die Geschichte notwendig gewesen wäre. Die Kampfstation Starkiller Base, wesentlich zerstörerischer als der legendäre Todesstern, wirkt wie effektheischende Staffage. Auch hätten manche der computeranimierten Charaktere ebenso gut von Menschen gespielt werden können – wie im Fall von „Yodas hässlicher Schwester“, wie ein Bekannter von mir die weise Alte Maz Kanata nannte. So weckt „The Force Awakens“ in manchen Momenten unangenehme Erinnerungen an die Episoden I bis III, die einem Wahn für spektakuläre Spezialeffekte verfielen und dabei die Geschichte vergaßen.

Wie viele tiefergehende Dialogszenen gestrichen wurden, lässt das (Hör-)Buch zum Film erahnen.

Der neue „Star Wars“ ist gelungen, mehr Tiefe hätte er dennoch vertragen können. Das Potenzial dafür hätte es gegeben: Wie viele tiefergehende Dialogszenen gestrichen wurden, lässt das (Hör-)Buch zum Film erahnen. Über zehn Stunden Laufzeit der Hörbuch-Variante verdeutlichen, dass in der Kinofassung zahlreiche Details fehlen. So sind die Dialoge zwischen Supreme Leader Snoke und Kylo Ren, zwischen Rey und Kylo Ren sowie zwischen Leia und Han Solo im Buch um einiges länger als auf der Leinwand. Es ist schade, dass diese Momente im Film fehlen, da sie dem Bösewicht Ren mehr Charaktertiefe verleihen und wichtige Hinweise geben, wie er von Snoke zur dunklen Seite verführt werden konnte. (Sprecher ist in der Originalversion des Hörbuchs übrigens Marc Thompson – wie bei vielen Büchern des Expanded Universe. Thompson imitiert die Stimmen der Filmschauspieler glaubwürdig.) Mit etwas Glück wurden einige dieser Szenen ursprünglich mitgefilmt, so dass sie als Deleted Scenes auf den Disc-Versionen veröffentlicht werden.

 

Update (10.01.16): Im Interview mit „Entertainment Weekly“ hat J. J. Abrams angekündigt, dass die Disc-Versionen des Films zwar keinen Extended Cut, dafür aber gelöschte Szenen enthalten werden. In der ursprünglichen Version habe der Film 2 Stunden 50 Minuten gedauert, für die Leinwand sei er dann auf 2 Stunden 16 Minuten heruntergeschnitten worden.

Update 2 (30.04.16): Die Hoffnungen waren umsonst, die gelöschten Szenen haben eher etwas von Outtakes. Inhaltliche Ergänzungen gegenüber der Leinwandfassung gibt es nicht. Vielleicht wird das für eine spätere Super-Special-Limited-Collector’s-Really-Serious-Fan-Edition aufgespart.

 


Fotos: Titelbild: tookapic auf Pixabay; Bild in der Mitte: aitoff auf Pixabay.

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