Kino

Auf der Schlachtbank

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Eine Euphoriewelle ging durch die Gamingszene, als Ende 2014 die ersten Filmszenen von „Hardcore Henry“ erschienen. Auch ich habe gejubelt, weil ich mich schon lange gefragt hatte, wann endlich der erste Kinofilm kommen würde, der komplett aus der Sicht des Hauptcharakters erzählt wird. Anders gesagt: wann Filmemacher endlich nutzen würden, was Ego-Shooter-Spiele so eindrucksvoll macht.

Jetzt ist „Hardcore Henry“ auf der Leinwand angekommen. Aber leider hat der Film außer dem Ego-Aha-Effekt nicht viel mehr Gutes, dafür aber viel Zweifelhaftes zu bieten. Ich muss sagen: Es reicht, sich die sechs Minuten Filmszenen von damals anzusehen.

Denn der endgültige Film ist im Grunde genommen ein auf eineinhalb Stunden gestreckter Trailer. Von der schon damals gezeigten Action gibt es jede Menge: Hauptcharakter Henry wütet als Supersoldat unter seinen Feinden, ballert zahllose Maschinengewehrmagazine leer und nutzt auch oft schlicht seine Hände, um Gegnern ein Ende zu bereiten – und der Zuschauer erlebt das alles direkt aus Henry Sicht. Stundenlang werden Bauchdecken aufgerissen, Herzen herausgeschnitten, und jede Menge Leute abgestochen, abgestochen, abgestochen.

Respekt muss man „Hardcore Henry“ für die Stunts zollen. In einigen Verfolgungspassagen klettert der Hauptcharakter im Parcours-Stil die Wände hoch, was aus Ego-Sicht eindrucksvoll ist. Doch diese Tour de Force nutzt sich schnell ab, weil sie einfach zu brutal und over-the-top ist. Und vor allem, weil eine gute Geschichte fehlt. Klischeegerecht wacht der Hauptcharakter zu Beginn des Films auf und weiß nicht mehr, wer er ist, was mit ihm passiert ist (zum Beispiel, warum ihm ein paar Gliedmaßen fehlen, und warum er nicht mehr reden kann).

Ohne Story fehlt „Hardcore Henry“ der Kitt, um die brutalen Filmszenen halbwegs sinnvoll zu verknüpfen.

Schuld an dem Schlamassel ist Bösewicht Akan, der mit seinem morbiden Aussehen einem „Herr der Ringe“-Streifen entsprungen sein könnte. Der Fiesling entführt Henrys Frau, die als klassische damsel-in-distress im Laufe des Films immer wieder gerettet werden will. Begleitet wird Henry von einem skurrilen Sidekick, der vollkommen überzeichnet von Sharlto Copley gespielt wird. Und natürlich enttarnt sich im Laufe des Films auch ein Verräter. Fesseln kann diese Story nicht. Zugleich nimmt sie sich selbst zu ernst, als dass sie beim Zuschauer für Schmunzeln sorgen könnte.

Natürlich kranken auch viele Videospiele, durch die „Hardcore Henry“ ja inspiriert ist, an abgedroschenen Hintergrundgeschichten. So abwesend wie in „Hardcore Henry“ ist ein sinnvoller Storyverlauf aber selten. Dadurch fehlt der Kitt, um die brutalen Actionszenen halbwegs in einen inhaltlichen Zusammenhang zu stellen. „Hardcore“ mutet eher wie eine Gewaltporno-Compilation an, die einige Menschen befriedigen, den Großteil des Publikums allerdings abstoßen dürfte. Regisseur Ilya Naishuller hat mit „Hardcore Henry“ einen Mordsimulator geschaffen, der so gut und so schlecht ist wie das platteste Videospielklischee. Deshalb heißt es jetzt warten auf einen Film, der die Ego-Perspektive nutzt und inhaltlich etwas liefern kann.


Foto: Jai79 auf Pixabay.

Mein Land, mein Gewehr, mein Gott

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Was für ein Mist, den die geheimen US-Soldatzen in Libyen ausbaden müssen! Und dann ist Uncle Sam auch noch sowas von undankbar. – So könnte man salopp den Kriegsstreifen „13 Hours: Secret Soldiers of Benghazi“ zusammenfassen.

In der libyschen Hauptstadt Benghasi ist ein Abhörteam auf einem geheimen CIA-Stützpunkt untergebracht. Für dessen Schutz sind einige Ex-Elitesoldaten verantwortlich. Das mit der Bewachung klappt soweit auch ganz gut – bis kurz vorm elften Jahrestag von 9/11 der US-Botschafter entscheidet, Benghasi einen Besuch abzustatten. Denn als Botschafter Chris Stevens auf eigene Faust vor den örtlichen Fernsehkameras spricht, wird er zum leichten Opfer für islamistische Milizen. Die überfallen sein provisorisches Botschaftsgelände, was die Soldaten des geheimen CIA-Stützpunkts auf den Plan ruft. Ab diesem Punkt schießt sich das Team den Weg in Benghasi frei, um gegen Hunderte libysche Angreifer zu bestehen. Doch den Botschafter können sie nicht mehr retten. Schließlich werden sie auf dem ursprünglichen Stützpunkt eingekesselt. Die verzweifelt angeforderte Hilfe vom Hauptkommando kommt viel zu spät. Nicht alle US-Soldaten schaffen es zurück nach Amerika.

Jeder könnte ein Feind sein!

In Michael Bays Actionstreifen wird die Perspektive der Libyer weitgehend ausgeklammert. Allerdings gibt es klischeegerecht den einen Libyer, der sich den US-Kräften angeschlossen hat und im Film als Stellvertreter für das gesamte libysche Volk dient. Von den Elitesoldaten muss er sich belehren lassen, er solle sein Land mal in Ordnung bringen – so kann man die Analyse eines komplexen Konflikts auch auf einen Satz herunterdampfen. Indirekt wird der muslimische Glauben pauschal mit Terrorismus verknüpft: In einer Kampfpause guckt einer der US-Soldaten verächtlich zu den Muslimen, die in einem Hof gen Mekka beten – eine subtile Schuldzuweisung. Dass man abseits dessen darüber nachdenken könnte, warum die USA überhaupt geheime Basen wie in Benghasi unterhalten, ist keine Frage im Kosmos der Militärfilme. Stattdessen drückt „13 Hours“ dem Publikum drei Botschaften mit dem Holzhammer auf:

1. Botschaft: Wenn das US-Militär spart, ist das Mist! Denn so können die US-Elitesoldaten nicht mit der vollen Kriegsmaschinerie unterstützt werden: Es gibt keine F16-Tiefflüge, die die Angreifer verschrecken könnte, und auch keine Gunships mit 40mm-Kanone, die schnell für „Ordnung“ sorgen könnten. Diese Kritik kristallisiert sich im CIA-Station-Chief: einem feigem Bürokraten, der nicht rechtzeitig zu rabiaten Mitteln greift.

2. Botschaft: Jeder könnte ein Feind sein! Tausendmal wird im Film die Frage wiederholt: „Sind das die Leute vom 17. Februar?“ – also: Können wir den Typen trauen? (Es geht hier um die Revolutionäre, die den Amerikanern eher freundlich gesinnt sind.)

3. Botschaft: Das Einzige, was schöner ist als Amerikaner zu sein, Soldat zu sein oder an Gott zu glauben, ist, alle drei Dinge für die Pflichterfüllung zu vereinen. „13 Hours“ treibt das Heldentum auf die Spitze: Wenn die muskelbepackten Soldaten über Zäune klettern müssen, dann meckern sie: Ich bin zu alt zum Klettern! Gegen Ende des Films wird einem Soldaten der halbe Arm von einer Mörsergranate abgerissen. Doch auf der Krankenstation schreit der Geschundene nicht etwa vor Schmerzen – nein, er sagt: Ich brauche ’ne Knarre, falls der Feind hier vorbeikommt!

Auch Popkultur macht Geschichte.

Nun kann man die Frage stellen: Warum die Aufregung? Wieso sollte man von einem Actionfilm etwas anderes erwarten? Stimmt einerseits. Aber solche Filme prägen durch die Fragen, die sie aufwerfen (oder eben nicht aufwerfen) in erheblichem Maß das Bild, wie wir auf Konflikte blicken. Popkultur macht auch Geschichte. Und „13 Hours“ ist kein Film, an dessen Ende man den behandelten Konflikt in irgendeiner Weise besser verstehen würde. Zudem ist die Kritik an den Sparmaßnahmen in der Armee ein Statement gegen die aktuelle Politik in den USA – nur eben untergejubelt im Actionfilm-Gewand. Deutlicher sichtbar ist die Ästhetik der Gewalt, der gehuldigt wird: Bei vielen Gefechten blickt der Zuschauer direkt durch das Zielfernrohr – und sieht so Kopfschuss für Kopfschuss mit an, wie das Gehirn libyscher Angreifer spritzt. Visueller „Höhepunkt“ ist der Kameraflug hinter einer Mörsergranate, die man auf ihrem Weg verfolgt: vom Einwurf in die Abschussvorrichtung, über den Flug durch die Wolken, bis hin zum Einschlag auf einem Dach des CIA-Geländes.

„13 Hours“ macht es einem schwer, den epischen Landschaftsbildern und dem Heldenpathos nicht zu erliegen: Schließlich sind das doch gute Männer, die da in Libyen nur aus Notwehr alles niederschießen! Doch denkt man einen weiteren Moment über den Film nach, überwiegt doch der Zweifel, ob ein stumpfer Actionfilm der richtige Weg ist, einen Konflikt wie in Libyen zu beleuchten. Am Ende von „13 Hours“ werden übrigens zwei US-amerikanische Soldatenopfer geehrt. Die niedergemähten Pappkameraden der Libyer sind da schon wieder vergessen.


Foto: Skitterphoto auf Pixabay.

Die recycelte Seite der Macht

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Achtung: Spoiler folgen, die die Handlung bis zur Mitte des Films betreffen.

Ein junger Mensch wächst auf einem Wüstenplaneten auf, ohne seine Familie zu kennen. Ein Bösewicht ist die Marionette seines noch fieseren Meisters. Ein niedlicher Droide beherbergt eine Datei, die das Schicksal der Galaxie entscheiden könnte.

Hört sich an wie „Star Wars: Episode IV“? Oder eher „Episode VII“? Oder beides? Bingo. Die Handlung des siebten „Star Wars“-Film ist parallel zum ersten „Krieg der Sterne“ von 1977 angelegt. Teil sieben verlässt sich damit auf ein Erfolgsrezept, das heute so gut funktioniert wie vor 38 Jahren – auch wenn mancher Kinogänger murren dürfte, dass die Macher damit auf eine „billige Variante“ gesetzt haben. Wie der Beginn der Ursprungs-Trilogie bedeutet auch der Start der neuen Story, dass ein Heldenzyklus seinen Lauf nimmt. Die jungen Wilden in „Episode VII“ – Rey und Finn – müssen ihren Weg noch finden und sich damit anfreunden, Verantwortung zu tragen. Schon jetzt ist abzusehen, dass sie im nächsten Teil einen herben Rückschlag erleben, bevor dann im Finale das Gute obsiegen wird. Ein simples Erzählmuster, das Menschen seit Jahrzehnten begeistert.

Kylo Ren ist nicht so furchteinflößend wie Darth Vader – und zum Glück auch nicht so eindimensional.

Allerdings setzen die Drehbuchautoren Lawrence Kasdan, J. J. Abrams und Michael Arndt auch neue Akzente. Den früheren Teilen wurde zurecht die weitgehende Abwesenheit von Frauen vorgeworfen. Sowohl in der ursprünglichen Trilogie von 1977 bis 1983 als auch in den neuen Teilen von 1999 bis 2005 war jeweils nur eine Frau unter den Hauptcharakteren. Das ist insofern ein Problem, weil die Filme dadurch suggerierten, dass es starke Frauen nur als Ausnahme in einem männerdominierten Universum geben könnte. Einige der ersten sechs Teile fielen peinlicherweise sogar durch den Bechdel-Test. Mit dem neuen Teil ändert sich das. Der neue Hauptcharakter ist Rey, eine geborene Anführerin. Konterkariert wird ihr selbstloses und zugleich überlegtes Verhalten durch den zweitwichtigsten Helden Finn, der in der ersten Filmhälfte eher egozentrisch und zuweilen feige handelt. Abseits von Rey, die alle Sympathie auf sich zieht, arbeiten nun auch Frauen bei den Sturmtruppen und auf der Brücke von Kriegsschiffen.

What you lookin' at?

Eine weitere positive Überraschung in „The Force Awakens“ ist der neue Bösewicht, der zwar nicht als „neuer Darth Vader“ gelten kann – doch gerade das ist gut. Denn Kylo Ren ist sicherlich nicht so furchteinflößend wie der Bösewicht der Filmgeschichte. Jedoch ist er auch nicht so eindimensional wie sein Vorbild. Als Kylo Ren seine Maske abnimmt und der Zuschauer sein jungenhaftes Antlitz erblickt, verraten Rens Zuckungen und wuterfüllte Augen, wie innerlich zerrissen der dunkle Lord eigentlich ist. Diese Vielschichtigkeit hat er Darth Vader voraus. Einer der spannendsten Momente des Films ist das Aufeinandertreffen der neuen Helden mit den Charakteren der alten „Star Wars“-Teile. Als Han Solo und Chewbacca das erste Mal Rey und Finn begegnen, zeigt sich schnell, dass alte und neue Charaktere gut harmonieren. „Episode VII“ spart dabei nicht an albernen Verweisen auf die Ursprungstrilogie. Das ist in Ordnung, denn der „Star Wars“-Humor war stets etwas schrullig. So grummelt der bärenhafte Chewbacca auch im neuen Film zur Freude der Zuschauer. Und der niedliche Droide BB-8 piepst sich schnell in die Herzen des Publikums.

Die überreizten Spezialeffekte wecken unangenehme Erinnerungen an die Episoden I bis III.

Dank der Spezialeffekte haben die Waffen in „The Force Awakens“ eine Durchschlagskraft, wie sie in den „Star Wars“-Filmen bisher ungekannt war. Han Solos Blaster wirkt wie die Laserversion eines 44er Magnum-Revolvers, Chewbaccas Armbrust mutet wie ein strahlengestützter Granatwerfer an. Der neue Film ist damit den Sehgewohnheiten einer Generation angepasst, die mit Egoshootern aufgewachsen ist. Leider begeht J. J. Abrams zuweilen den Fehler, die Möglichkeiten der Computereffekte zu überreizen: Eine Szene, in der Tentakelmonster angreifen, dient eher den Muskelspielen des Trickstudios, als dass sie für die Geschichte notwendig gewesen wäre. Die Kampfstation Starkiller Base, wesentlich zerstörerischer als der legendäre Todesstern, wirkt wie effektheischende Staffage. Auch hätten manche der computeranimierten Charaktere ebenso gut von Menschen gespielt werden können – wie im Fall von „Yodas hässlicher Schwester“, wie ein Bekannter von mir die weise Alte Maz Kanata nannte. So weckt „The Force Awakens“ in manchen Momenten unangenehme Erinnerungen an die Episoden I bis III, die einem Wahn für spektakuläre Spezialeffekte verfielen und dabei die Geschichte vergaßen.

Wie viele tiefergehende Dialogszenen gestrichen wurden, lässt das (Hör-)Buch zum Film erahnen.

Der neue „Star Wars“ ist gelungen, mehr Tiefe hätte er dennoch vertragen können. Das Potenzial dafür hätte es gegeben: Wie viele tiefergehende Dialogszenen gestrichen wurden, lässt das (Hör-)Buch zum Film erahnen. Über zehn Stunden Laufzeit der Hörbuch-Variante verdeutlichen, dass in der Kinofassung zahlreiche Details fehlen. So sind die Dialoge zwischen Supreme Leader Snoke und Kylo Ren, zwischen Rey und Kylo Ren sowie zwischen Leia und Han Solo im Buch um einiges länger als auf der Leinwand. Es ist schade, dass diese Momente im Film fehlen, da sie dem Bösewicht Ren mehr Charaktertiefe verleihen und wichtige Hinweise geben, wie er von Snoke zur dunklen Seite verführt werden konnte. (Sprecher ist in der Originalversion des Hörbuchs übrigens Marc Thompson – wie bei vielen Büchern des Expanded Universe. Thompson imitiert die Stimmen der Filmschauspieler glaubwürdig.) Mit etwas Glück wurden einige dieser Szenen ursprünglich mitgefilmt, so dass sie als Deleted Scenes auf den Disc-Versionen veröffentlicht werden.

 

Update (10.01.16): Im Interview mit „Entertainment Weekly“ hat J. J. Abrams angekündigt, dass die Disc-Versionen des Films zwar keinen Extended Cut, dafür aber gelöschte Szenen enthalten werden. In der ursprünglichen Version habe der Film 2 Stunden 50 Minuten gedauert, für die Leinwand sei er dann auf 2 Stunden 16 Minuten heruntergeschnitten worden.

Update 2 (30.04.16): Die Hoffnungen waren umsonst, die gelöschten Szenen haben eher etwas von Outtakes. Inhaltliche Ergänzungen gegenüber der Leinwandfassung gibt es nicht. Vielleicht wird das für eine spätere Super-Special-Limited-Collector’s-Really-Serious-Fan-Edition aufgespart.

 


Fotos: Titelbild: tookapic auf Pixabay; Bild in der Mitte: aitoff auf Pixabay.

Wenn die Privatsphäre im Mixer zerhäckselt wird

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Achtung: Leichte Spoiler in der Mitte des Textes.

Was ist eigentlich bei der FSK los? Eine Frage, die ich mir in den letzten Jahren einige Male gestellt habe. Das erste Mal dürfte es im Mai 2005 gewesen sein, als „Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith“ in die Kinos kam. Ein Film mit der Einstufung „Ab 12“ und einer Finalszene, bei der dem jugendlichen Hauptcharakter drei seiner Extremitäten abgeschlagen werden. Anschließend verbrennt er langsam und unter Tränen am lebendigen Leibe, als die Flammen eines Lavasees ihn erreichen.

Zehn Jahre später ist die laxe Altersfreigabepolitik der FSK so weit, auch einem Kinofilm wie „Unknown User“ (Originaltitel: „Unfriended“) die Freigabe „Ab 12“ zu verleihen. In dem Horrorfilm steckt ein Junge seine Hand in einen Küchenmixer, so dass die zerhäckselten Einzelteile effektreich in alle Richtungen spritzen. Sollten 12-Jährige das sehen? Aber gut: Versuchen wir, der Altersfreigabe etwas Positives abzugewinnen. So kommt der inhaltliche Warnschuss, den „Unfriended“ an sein Publikum richtet, auch bei denen an, die ihn hören sollten: bei den Jugendlichen, die ihr Leben ohne Scham bei Facebook und Co. ausbreiten. Das kann ordentlich nach hinten losgehen, denn so wie das Netz der Menschheit neue Chancen eröffnet, potenziert es auch unsere negativen Seiten. Womit wir beim Filmthema angekommen wären: Mobbing im Netz.

Und die Moral von der Geschicht‘? Hänsel deine Mitmenschen nicht.

Im Film ist der Zuschauer Voyeur. Auf der Kinoleinwand beobachtet er die Oberfläche eines MacBooks, den die pubertierende Blaire benutzt, um mit ihren Freunden zu chatten. Den ganzen Film über sieht man nichts anderes als diese Bildschirmoberfläche, auf der Blaire skypet, facebookt und googlet. Allerdings wundern sich Blaire und ihre Freunde, als sich eine fremde Person ohne Profilbild in ihren Skype-Chat einschaltet. Als dann auch noch mysteriöse Drohnachrichten bei Facebook eintrudeln, ist klar: Irgendjemand will der Gruppe nichts Gutes. Denn die Clique hat eine Leiche im Keller, weswegen nun die Gruppenmitglieder eines nach dem anderen zur Leiche werden sollen. Die Vorgeschichte: Genau vor einem Jahr fand eine eskalierende Party statt, bei der sich Blaires beste Freundin Laura völlig gehen ließ. Ein demütigendes Video von Lauras Absturz findet sich tags darauf bei YouTube – ein gefundenes Fressen für die Schulkameraden, die sich im Kommentarfeld über Laura hermachen. Das Mobbingopfer hält das nicht aus und begeht wenig später Selbstmord, der ebenfalls auf einem YouTube-Video festgehalten ist.

Nun, ein Jahr später, kehrt eine Art böser Geist von Laura zurück, um sich zu rächen. Die skypenden Freunde segnen nacheinander das Zeitliche. Einer steckt seinen Kopf in den schon erwähnten Stabmixer, ein anderer erschießt sich mit einem Revolver selbst. Sie stehen offenbar unter der Kontrolle der dämonenhaften Laura. Der Zuschauer verfolgt dieses Blutbad von Blaires Bildschirmoberfläche, was den Horror im Zusammenspiel mit Computereffekten besonders intensiv macht. Und die Moral von der Geschicht‘? Hänsel deine Mitmenschen nicht. Der Film weckt Erinnerungen an den realen Selbstmord der US-Amerikanerin Amanda Todd im Jahr 2012. Die 15-Jährige wurde von der Boshaftigkeit ihrer Mitschüler in den Tod getrieben. „Unfriended“ ist deswegen ein überfälliger Film. Denn das Cybermobbing macht in diesen Tagen vielen Schülern das Leben zur Hölle: Wo früher Gemeinheiten auf die Türen der Schultoilette geschmiert wurden, sind sie heute als intime Videos weltweit auf YouTube abrufbar. Dass das Grauen im Film einen paranormalen Touch hat, nimmt der Botschaft leider ein Stück Durchschlagskraft. Denn der übernatürliche Dreh in „Unfriended“ verschleiert die allzu reale Gefahr, dass Hetze im Netz zu realer Gewalt wird