Würden Sie Ihre Bankverbindung auf einer Postkarte verschicken? Oder würden Sie Ihren Gehaltszettel in einer Klarsichtfolie versenden? Oder vielleicht die Nacktfotos, die Sie Ihrer Affäre schicken? Vermutlich nicht. Vermutlich haben Sie ein gesundes Verständnis von Privatsphäre, das Sie da sofort den Kopf schütteln lässt. Und vermutlich setzen Sie dieses gesunde Verständnis in Ihrem Alltag auch in die Tat um. Zumindest, wenn Sie in der realen Welt unterwegs sind.
Denn höchstwahrscheinlich verhalten Sie sich in der virtuellen Welt ganz anders: Plötzlich verschicken Sie Mietverträge, Rechnungen und Liebesbriefe – so, als wäre der Inhalt kein bisschen sensibel, als dürfte ihn jeder bedenkenlos mitlesen. Höchstwahrscheinlich verschlüsseln Sie Ihre Emails nicht, so wie die meisten Menschen das nicht tun. Vermutlich nutzen Sie sogar vernetzte Dienste wie die von Google, die Ihnen ein Rundum-Sorglos-Paket schnüren: Emails, Kalender, Cloud-Speicherplatz, Kartendienst – alles dabei. Dass dabei auch Ihre Daten gebündelt werden in einem nie mehr entwirrbaren Netz: Das ist Ihnen egal. Aber warum?
Warum handeln wir im Netz ganz anders als im echten Leben?
In einer Diskussion habe ich eine Journalistenkollegin letztens sagen hören, dass sie die Google-Dienste so gerne nutze, weil die so eine schöne Benutzeroberfläche haben. Und dass davon abgesehen Email-Verschlüsseln viel zu kompliziert wäre. Das könne man ja nur Experten zumuten. Eine interessante Argumentation. Denn mit der gleichen Logik könnte sich auch jemand, der bisher nur über ein Dosentelefon kommuniziert hat, weigern, ab sofort den komplizierten Einschreiben-mit-Rückschein-Aufkleber bei der Deutschen Post auszufüllen. Das ist doch auch nur was für Experten, oder?
Bei jeder Art zu kommunizieren gibt es sichere und unsichere Varianten. Dass sich heutzutage fast niemand die Mühe macht, die Emails an seine Freunde und Familie zu verschlüsseln, obwohl das in der Einrichtung vielleicht eine Stunde dauert; dass verschlüsselte Messenger ein Nischendasein fristen mussten, bis WhatsApp auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung umrüstete; dass man als junger Mensch ohne Facebook schnell den Anschluss verliert; all das hat mit einem gewaltigen Verlust an Vernunft und eigenständigem, klaren Denken zu tun.
Wer heute Bequemlichkeit gegen Sicherheit tauscht, könnte sich morgen wundern.
Es ist ein Kontrollverlust, der uns in einiger Zukunft auf die Füße fallen dürfte: Wenn wir zurückblicken auf unsere digital archivierten Leben – und uns dann ganz in grenzenloser Naivität wundern, was Unternehmen und Staaten mit unseren Daten angestellt haben. Natürlich liegt die Verantwortung nicht allein beim Bürger. Auch Unternehmen sind gefordert, zugängliche Verschlüsselungslösungen für alle anzubieten – und nicht nur für Experten. Wer sich allerdings ernsthaft auf die Suche macht, findet mit dem Tor-Netzwerk, kleinen Email-Anbietern und Krypto-Messengern schon heute Lösungen, um sich alltagstauglich gegen die Datensammelwut abzuschotten – nicht komplett, aber zu einem erheblichen Teil.
Vielleicht werden sich in den nächsten Jahren auch endlich massentaugliche Plattformen zur Verschlüsselung etablieren. Unternehmen müssen offenbar erst noch erkennen, dass auch verschlüsselte Anwendungen ein Markt sein können, der aktuell noch spärlich besetzt ist. Doch dieser Ausblick hilft dem Einzelnen im Moment nicht weiter. Für ihn gilt schon heute: Wer lieber Bequemlichkeit gegen Sicherheit tauschen möchte, kann das tun. Nur könnte er sich dann morgen wundern, dass die Bequemlichkeit für ihn äußerst unbequem wird.
Foto: staffordgreen0 auf Pixabay.